Kafkas Erzählung Die Sorge des Hausvaters und der Hausvater des Textes

Ebenso wenig stillstellen wie Picassos Guitare, Partition, Verre lässt sich Kafkas 1917 entstandener Text Die Sorge des Hausvaters, über den bereits Unzähliges veröffentlicht worden ist. So vielfältig wie die Publikationen sind die Interpretationen, die sich um ein Etwas „Odradek“ ranken. Bisweilen ist man deshalb versucht zu glauben, der Titel des Werkes wäre nicht benannter, sondern eben „Odradek“. So betitelt Heinz Hillmann seinen Aufsatz Das Sorgenkind Odradek (1967), Walter Höllerer den seinen Das verfitzte Ding Odradek (1966), aber auch in der neueren Forschung heißt es bei Verena Ehrich-Haefeli im Untertitel Zu Kafkas ‚Odradek‘ (1990). In ihrem Aufsatz schreibt die Autorin: „‚Odradek’ war mit großer Wahrscheinlichkeit der Markenname des Motorrads, auf dem der junge Kafka bei seinem Onkel in Triesch in den Ferien herumfuhr!“ „[A]ls Manifestation […] der ins Unterbewußte verbannten Energien und Botschaften“ werde Odradek zum „Movens oder Motor des Textes“. Gerd Michels fasst in seinem Beitrag Scheiternde Mimesis (1981) unterschiedliche, mehr oder weniger prominente Deutungen Odradeks zusammen :

„Dieser erscheint als Repräsentation des ‚universellen Daseins’, des ‚Unsterblichen mitten im Sterblichen’, als ‚Ganzes jenseits von Stoff und Geist’ (Wilhelm Emrich), oder als ein ‚entfremdetes Zeug’ (Max Bense), als ‚Miniaturmonster’, auch ‚Mißgeschick’ und als ein ‚Spiel mit dem Absurden’ (Hermann Pongs), schließlich als ein Abbild des orientierungslos gewordenen Menschen. […] [Ferner] ‚Odradek als die nutzlos überlebende Ware’ (Adorno), ‚Odradek überlebt alles’ (Hermann Pongs) und ‚Odradek ist unsterblich allem entzogen’ (Wilhelm Emrich)“.

Der interpretatorische Eifer, mit dem die Interpreten über den Text herfallen, die Vielzahl der Deutungsbemühungen – gerade in ihrer Widersprüchlichkeit – entbehren nicht einer gewissen Komik, die versäumt, sich vielmehr am Bezugstext selbst festzumachen. Michels resümiert daher: Auch die „partielle Übernahme des habitualisierten Sprachgestus der Wissenschaft schützt nicht vor dem Scheitern von Erklärungsversuchen“.

Die einen, darunter Emrich, Arie-Gaifman oder Kremer, versuchen, dem ‚Wesen’ Odradek etymologisch näher zu kommen, andere, wie Gerhard Kurz, bringen die sternförmige Zwirnspule und die ‚sich kreuzenden’ Stäbchen in Zusammenhang mit dem Davidstern oder dem christlichen Kreuz, um theologische Deutungen zu ermöglichen, oder identifizieren die Zwirnspule mit dem Stäbchen darin als Zweck, mithin als Scheibe, aufgehängt an einem Pflock, dem Ziel, nach dem man früher schoss, dessen Bedeutung, so Werner, mit der Zeit jedoch verloren ging .

„Die einen sagen, […] [a]ndere wieder meinen, […]“, heißt es ja bereits schon im Text, der somit die vielfältigen Deutungsbemühungen seiner Interpreten selbstreflexiv einholt, bzw. vorwegnimmt. Genauer buchstabiert er im ersten Abschnitt die Versuche, Odradek etymologisch, im zweiten, ihn durch eine wissenschaftlich-genaue Beschreibung zu fangen, aus. Doch „Odradek [erweist sich als] außerordentlich beweglich und [ist] nicht zu fangen“. Er/Es entzieht sich subversiv immer dort, wo er/es festgestellt, verortet, dingfest gemacht werden soll. Dabei ist auffällig, dass die Interpreten zum einen sich genau jene wissenschaftlich-exakte Beschreibung auferlegen, die der Text bereits vorführt: „Wir werden deshalb zunächst eine streng immanente Interpretation durchführen.“ (Hillmann) Und zum anderen den relativierenden Stil des Textes übernehmen, den sie erklärend aufzulösen versuchen: „Angedeutet wird auch“ (Kurz) „mit großer Wahrscheinlichkeit“ (Ehrich-Haefeli), „eine Art religiöse Aura“ (Kurz). „Ich würde diesen Entwurf […] ein Modell nennen“ (Hillmann).

Insgesamt ist festzustellen, dass bei der Auseinandersetzung mit dem Text Die Sorge des Hausvaters häufig die Frage Was wird dargestellt? fokussiert wird, anstatt zu untersuchen, wie und mit welchen Mitteln Odradek überhaupt zur Darstellung kommt. Stellt man, wie bereits anhand der untersuchten Bilder unternommen, einmal diese Frage, wird ersichtlich, dass oftmals übersehen wird, dass der Leser es bereits von Anfang an mit der Perspektive des Hausvaters zu tun hat, die der Text dem Leser als seine eigene unterschiebt, bzw. durch die Suggestion größtmöglicher Genauigkeit als eine wirkliche und mimetische Vorstellung von Odradek ausgibt. Dabei ist bereits im Titel, anders als in anderen Erzählungen Kafkas, wie Die Bäume (1907/08), Der Kreisel (1920) oder Der Bau (1923) nicht das Erzählobjekt, sondern dezidiert das Erzählsubjekt als solches ausgewiesen. Es handelt sich um die Sorge und gleichsam um die Perspektive des Hausvaters, der eine Entität mittels Sprache seinem Diskurs unterwerfen und vergegenwärtigen, d.h. präsent machen möchte. Da Kafka offensichtlich mit der Art und Weise der Wahrnehmung u.a. eines „Wortes“ Odradek spielt, liegt die Vermutung nahe, dass er in dieser Erzählung mehr als in anderen sprachphilosophisch die Bedingungen und die Perzeption des ästhetischen Materials Sprache reflektiert, mit dem er operiert. Präsenz ist in der medialen Wirklichkeit des Gegenstandes Sprache, in der Dinglichkeit des Buchstabens, nicht zu haben, insbesondere ist es unmöglich, in Worten einer Wesenhaftigkeit habhaft zu werden. Doch der Hausvater beschreibt das Wort „Odradek“ akribisch als ein wirkliches Ding (dazu nicht ohne Komik als ein äußerst Banales, nämlich als eine Zwirnspule) und versucht dessen Wesen – so, wie die Interpreten – auf der Suche nach seinem absoluten Sein zu ergründen.

Renate Werner liest Die Sorge des Hausvaters als „sprachkritischen Scherz“ Kafkas und weist mit Bezug auf Walter Benjamin, Gerd Michels und andere darauf hin, dass bei diesem nicht nur gleitende Signifikation und metonymische Verschiebungen eine Rolle spielen, sondern die Relation zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem in Hinblick auf den Signifikanten „Odradek“ abreißt. Zu fragen ist demnach nicht mehr nach dem Was der Darstellung, sondern vielmehr danach, wie es Kafka gelingt, der Erzählung dennoch jenen Wert zu geben, der sie so anziehend macht. Dass Werner es nichtsdestotrotz unternimmt, die Zwirnspule mit dem mittig auswachsenden Stäbchen nach einer Lektüre der Schriften Mauthners als Konkretum, als Zweck zu deuten, dessen Bedeutungswandel es zum Abstraktum, zum Ziel werden ließ – ein Gedankengang, der ihr erst die sprachkritische Lesart ermöglicht –, ist sekundär. Denn freilich verneint der Text jegliche ursprüngliche Bezugnahme, jeglichen Bezugstext sofort wieder. Er sperrt sich mit allen Mitteln gegen eine eindeutige Festlegung. Den Ursprung dieses Textes aufdecken zu wollen, heißt somit ihn zu verfehlen. In Vom Werk zum Text (1971) schreibt Barthes:

„Die Suche nach den ‚Quellen’, nach den ‚Einflüssen’ eines Werks bedient nur den Mythos der Filiation; die Zitate, aus denen ein Text gebildet wird, sind anonym, nicht mehr ausfindig zu machen, und dennoch immer schon gelesen: Es sind Zitate ohne Anführungszeichen.“

Die so wichtige Erkenntnis, dass hier im Sinne Mauthners Sprachkritik betrieben wird, steht auf einem äußerst labilen Fundament, dem Satz: „Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen.“ Jede Deutung, die sich metasprachlich zu zeigen anschickt, verweist nur wieder auf die / in der sich entziehende(n) Objektsprache. Und auch diese ist – da sie allein die Rede des Hausvaters wiedergibt – allein ein Diskurs, der das Objekt, Odradek, zuallererst ins Spiel bringt. Nicht zu vergessen ist der Konjunktiv, mit dem Kafka, genauer der Hausvater, die ursprünglich zweckmäßige Form Odradeks postuliert.

Eine Auseinandersetzung mit der Erzählung muss deshalb nach dem Ort fragen, von dem aus sie spricht. Andernfalls wird der Leser angesichts der Offenheit Kafka’scher Texte in ihr nur in größtem Maße das bestätigt finden, was gerade Kulminationspunkt der eigenen Überlegungen ist. Im Manuskript zur Nachlass- Erzählung Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande schreibt Kafka:

„Denn der Leser […] wird durch das Buch zu lauter Gedanken gereizt, die seine Unternehmung betreffen. Da nun aber der Inhalt des Buches ein gerade gleichgültiger ist, wird der Leser in jenen Gedanken gar nicht gehindert und er zieht mit ihnen mitten durch das Buch wie einmal die Juden durch das rote Meer“.

Eben diese Problematik sprachlicher Medialität und Referenz, die Kafka die Figur des Raban in der Erzählung beschreiben lässt, inszeniert er in Die Sorge des Hausvaters und nimmt im (Be-)Schreiben des Hausvaters die Aktivität des lesend schreibenden Rezipienten vorweg. Von Anfang an ist jener im Titel genannte Erzähler anwesend, auch wenn erst im vierten Abschnitt das Possessivpronomen „unser“ die Perspektive der ersten Person involviert und erst der fünfte dezidiert das Subjekt „ich“ enthält. Zusammen mit den übrigen Abschnitten wird deutlich, dass Kafka in diesem Text unterschiedliche Perspektiven des Lesers auf das sprachlich gegebene Material „Odradek“ durchdekliniert.

Zunächst noch distanziert unternimmt der Hausvater einen etymologischen Deutungsversuch (Abschnitt eins), im Folgenden einen mittels einer empirisch-wissenschaftlich-exakten Beschreibung (Abschnitt zwei), um sich dann in der die Ich-Identität verschleiernden dritten Person „man“ philosophisch zu Wort zu melden und über Sinn und Zweck zu sinnieren (Abschnitt drei). Auch diese Näherung zeitigt keinen Erfolg, und so zieht der Hausvater/„man“ sich auf den eigenen Machtbereich, das eigene Haus zurück, um dort, angetrieben von dem eigenen Begehren (s.u.), zumindest den Aufenthaltsort unter Aufbietung der häuslichen Autorität (s.u.) festzustellen (Abschnitt vier). Als Rückzugsort und Ort der letzten Gewissheit soll schließlich das Ich dienen, doch dieses ist seit dem Bruch mit der cartesianischen Selbstgewissheit und die Erkenntnisse der Psychoanalyse bereits viel zu sehr durch das die eigene Autorität und Identität unterminierende Andere bestimmt (s.u.). „Vergeblich“ und „schmerzlich[]“, so beginnt und endet der letzte (fünfte) Abschnitt.

Kafkas Spiel mit der Entität „Odradek“, das gleichzeitig eines mit dem Leser (dem Hausvater des Textes) ist, wird dadurch befeuert, dass dieser nicht nur verschiedene Perspektiven des Textes übernimmt, sondern mit der je anderen Sichtweise auch ein stets neues, anderes Bild von Odradek erhält. Dessen Metamorphosen sind dabei so geschickt in den Text eingewoben, dass Unterschiede kaum auffallen, „nirgends sind Ansätze oder Bruchstellen zu sehen“. Vor allem sind sie deshalb nahezu unsichtbar, weil der Leser – um Verständnis bemüht – beständig daran arbeitet, Odradek hermeneutisch als Ganzes herzustellen. Doch er/es ist ein hybrides, unvereinbares Zugleich. Zunächst tritt Odradek als „Wort“ und als „es“ in Erscheinung (Abschnitt eins), im Anschluss wird sein „Wesen“ postuliert und „es“ als „Zwirnspule“ vorgestellt (Abschnitt zwei), um dann über den Umweg der Bezeichnung als „Gebilde“ und „Ganze[s]“ (Abschnitt drei) personifiziert zu werden (Abschnitt vier und fünf). An die Stelle von „es“ tritt das Personalpronomen „er“. Odradek ist im Vornherein durch eine flüchtige Signifikation bezeichnet, die den Leser zwingt, den Text immer wieder von Beginn zu lesen, in der Hoffnung, die Dissemination der Bedeutung festzustellen. Mit jeder neuen Antwort auf die Frage „Wie heißt du denn?“ – „Odradek“ wird der Rezipient allerdings nur wieder reziprok auf das „Wort“ Odradek, das „er“ am Anfang war, zurückgeworfen. Detlef Kremer konstatiert angesichts der metonymischen Beweglichkeit der Kafka’schen Texte:

„Die semantische und syntaktische Struktur von Kafkas Texten findet eine eindeutige Bestätigung auch in der semiotischen Entwicklung von Figuren. Quer durch sein Oeuvre […] beherrschen Figuren die Szene, deren Haupteigenschaft in ihrer faszinierenden und dabei komischen Beweglichkeit liegt. Das gilt zunächst für jene eigentümlichen Gebilde, die die Grenzen zwischen Dingwelt und Lebewesen verwischen und zu einer molekularen Topographie öffnen.“

Zu nicht unerheblichem Teil wird die Beweglichkeit des Textes Die Sorge des Hausvaters, der Odradek anschaulich Ausdruck verleiht, durch Modalpartikel erzeugt, die – von vielen Interpreten schlichtweg ignoriert – die Satzaussagen des Hausvaters maßgeblich verändern und relativieren. „Natürlich“, „wohl“, „wirklich“, „allerdings“, „aber“, „übrigens“, „offenbar“ und „fast“ wird der propositionale Gehalt der hausväterlichen Sätze mit metasprachlichen Mitteln kommentiert, die eine die ‚Wirklichkeit’ der vorgestellten Beschreibungen in Zweifel ziehende Haltung des Sprechers zum Ausdruck bringen. Die Verstrickung in die widersprüchliche Dürftigkeit sprachlicher Vermittlung wird so nachgerade ausgestellt. Hinzu kommt die häufige Verwendung des Konjunktivs, besonders zu Beginn des Textes:

„Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus dem Slawischen […]. Andere wieder meinen, es stamme aus dem Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflußt. […] Natürlich würde sich niemand mit solchen Studien beschäftigen, wenn es nicht wirklich ein Wesen gäbe, das Odradek heißt.“ „[A]llerdings dürften es nur abgerissene, alte […] Zwirnstücke […] sein. […] Man wäre versucht zu glauben, dieses Gebilde hätte früher irgendeine zweckmäßige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen.“

So kommt das metonymische Spiel in Gang. Die Bedeutungszuschreibungen sind stets nur vorläufiger Natur. Sie setzen bloß das ‚Odradek’sche’ Räderwerk konnotativer Assoziationsketten in Bewegung, die einer Spur ohne Ziel auf dem Weiß der Seite folgen, gleich dem Schreiten des Landvermessers durch den Schnee in Das Schloss (1926), dort, wo es logisch-mathematisch nichts zu vermessen gibt (auch weil Kafka keine euklidischen Räume erschreibt) und das Ziel des Weges sich beständig entzieht. Topo-graphisch besteht nur eine Spur, die arabeske Lektürewege eröffnet, immer neue Worte und Vorstellungsbilder im Sinne des schreibbaren Textes, wie Barthes ihn in Das semiologische Abenteuer (1985) beschreibt, generiert:

„Er ist kein ästhetisches Produkt, sondern eine signifikante Praxis; […] er ist nicht eine Struktur, sondern Strukturierung; […] er ist nicht ein Objekt, sondern eine Arbeit und ein Spiel; […] er ist nicht eine Menge geschlossener, mit einem freizulegenden Sinn versehener Zeichen, sondern ein Volumen sich verschiebender Spuren; […] die Instanz des Textes ist nicht die Bedeutung, sondern der Signifikant“.

Damit ist ausgesprochen, dass der Wert dieses Textes in seiner Schreibbarkeit liegt. Wollte man sich einer Perspektive anschließen, die der Text einerseits gleichzeitig anbietet und andererseits verwirft, und sich auf eine spekulative etymologische Deutung einlassen, so wäre Odradek, worauf Kremer aufmerksam macht, im Tschechischen u.a. eine leere (Od-) Schriftzeile (-řádek). Bei Odradek handelt es sich um einen von seinem Signifikat entkoppelten Signifikanten. Flüchtig wie dessen Bedeutung sind auch ein so benanntes, nicht verortbares Lebewesen wie das Wesen des Wortes.

Eine so inkongruente Beschreibung, wie sie der Hausvater liefert, die durch Akribie äußerste Ernsthaftigkeit suggeriert, muss kontrastierend mit ihrem Resultat zum Lachen reizen. Die Komik dieses Textes liegt in der Inkongruenz der eingenommenen Perspektiven sowie der inhomogenen Charakterisierungen Odradeks: ein Wort, eine Zwirnspule, nein, ein Wesen, „lehnt gerade unten am Treppengeländer“. Darüber hinaus erkennt der Leser, der Die Sorge des Hausvaters mit wissenschaftlicher Attitüde sprachlich zu fassen sucht, schließlich selbst Züge seines Handelns in der Figur des Hausvaters wieder. Damit erreicht der Text einen Umschlagspunkt, der die Objekt-Subjekt-Relation betrifft. Ist er zunächst Objekt des Interpreten, weist er dann dem Rezipienten die Objektposition zu, indem er sein Handeln antizipiert. Dem entspricht eine Definition von Situationskomik, wie Ansgar Nünning sie im Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie vorschlägt:

„Bei der Handlungs- und Situationskomik wird das Individuum von außen dominiert. Diese Form der Fremdbestimmtheit, die dem Subjekt im Moment des Handelns nicht bewusst ist, zieht das Scheitern der Handlung nach sich, deren Ergebnis nun das Gegenteil der urspr. Handlungsabsicht des Individuums darstellt. Dadurch schlägt die Subjekt-Objekt-Relation in eine Objekt-Subjekt-Relation um – ‚eine der wirkungsvollsten Formen des Komischen’“.

Diesen Effekt zeitigt auch das Lachen Odradeks auf die Fragen des Hausvaters, der ihm gegenüber versucht, seine häusliche Macht und Autorität als pater familias auszuspielen. Kurz beobachtet:

„der Name suggeriert patriarchalische Herrschaft und behagliche Sicherheit. Über alles, was im Hause ist, verfügt und gebietet der Hausvater. In der Sozialgeschichte der Neuzeit bedeutet ‚Hausvater’ eine wirtschaftlich und rechtlich selbstständige Person, das Haupt der Familie“.

In der Tat übt der Hausvater Macht aus, doch diese betrifft nicht Odradek, sondern den Leser, dem er als klassisches Medium, einem Bild oder einem Text vergleichbar, erscheint. Er verschleiert seinen medialen Charakter, tritt zurück und suggeriert die Vorstellung von Unmittelbarkeit, gibt das Etwas „Odradek“ für wirklich aus, das doch allein durch seine Perspektive vorgegeben ist. Er insinuiert dem Betrachter die Illusion von Objektivität durch die detaillierte Beschreibung eines Gegenstandes.

Das Lachen Odradeks zerstört die Machtposition, von der aus der Hausvater in seinem Haus zu sprechen versucht, indem er Odradek zum Kinde degradiert: „Natürlich stellt man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt ihn […] wie ein Kind“, man stellt Kinderfragen, die allerdings einem Verhör gleichkommen: „‚Wie heißt du denn?’ fragt man ihn. ‚Odradek’, sagt er. ‚Und wo wohnst du?’ ‚Unbestimmter Wohnsitz’, sagt er und lacht“. Das Lachen ist eine Gegenkommunikation, ein subversiver Akt. Es ist auch ein ertappendes Lachen, das den selbstsicher durch sein Macht-Perspektiv blickenden Hausvater, der sich dem Objekt seines Begehrens mit „Lust“ nähert („Manchmal […] hat man Lust, ihn anzusprechen“), ins Mark trifft und sich des Anderen als eines Zurückblickenden bewusst werden lässt, gegen dessen Blick er wehrlos ist.

Die Erzählung involviert den Blick des Anderen auf zweierlei Weise und thematisiert damit indirekt die mediale Vermittlung von Wahrnehmung. Zum einen durch die verschiedenen Perspektiven, die der Hausvater dem Leser anbietet, zum anderen durch den Hinweis auf das „Rascheln in gefallenen Blättern“, das, mit Odradeks Lachen verbunden, eine bedrohliche, weil unsichtbare Präsenz des Anderen und Fremden, spürbar macht. In diesem Zusammenhang ist eine Beobachtung Sartres in Das Sein und das Nichts (1943) aufschlussreich, in der er den „Blick[] des Andern“ als „Rascheln[]“ beschreibt:

„Jeder auf mich gerichtete Blick manifestiert sich in Verbindung mit dem Erscheinen einer sinnlichen Gestalt in unserem Wahrnehmungsfeld, aber im Gegensatz zu dem, was man glauben könnte, ist er an keine bestimmte Gestalt gebunden. […] [E]r ist ebensogut anläßlich eines Raschelns von Zweigen, eines von Stille gefolg[t]en Geräuschs von Schritten, eines halboffenen Fensterladens, der leichten Bewegung eines Vorhangs gegeben.“

Die Diktion dessen, was sichtbar ist, und dessen, was unsichtbar bleibt, kreiert ein Feld von Macht und Ohnmacht. Die Beschreibungen des Hausvaters sind mediale Fenster, die dem Leser eine Diskursposition zuschreiben, und umgekehrt führt Odradek als das Andere, das subversiv den hausväterlichen Diskurs sprengt, dessen Ohnmacht vor. Denn der/das Andere ist ungreifbar. Er/Es ist bloß ein ephemeres Ereignis in transitorischen Räumen, ein Wort, dass sich im Diskurs befindet, eine Spur auf dem Papier einer Buchseite, eine Erscheinung im Treppenhaus, im Flur, in Gängen (es ist ein Rauschen wie das Geräusch in den Gängen des Baus). Doch ist er/es in seiner Abwesenheit anwesend als ein Lachen: „Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blättern.“ Mit dem Paradox von gleichzeitiger An- und Abwesenheit ist der differentielle Charakter von Medialität beschrieben, der besonders anhand der Schrift erörtert wurde. So ist es auch das Schreibmaterial, das hier im Lachen mitrauscht, das Blatt Papier, die Signifikantenkette „O-d-r-a-d-e-k“ zwischen den Blättern. Und nicht zuletzt Kafkas Lachen gegenüber dem düpierten Hausvater (und, wie auch Kremer und Werner bemerken, dem Leser), der sich seiner Position sicher glaubt.

Odradeks Lachen führt zu einer Desintegration des hausväterlichen Universums und zu einer Dezentrierung seiner Welt. Der Versuch, Zentrierung herzustellen, wird durch die Erscheinung des Anderen, seine anwesende Abwesenheit, unterminiert. Das Entgleiten des Anderen, das als Spiegel der eigenen (Macht-) Position dienen soll, stellt Identität in Frage und verkehrt die Subjekt-Objekt- Relation. Denn nicht Odradek wird vom Hausvater bestimmt, seine Gedanken und das Sein des Hausvaters (Lesers) werden von Odradek in dem Maße vorgeschrieben, in dem es ihm keine Ruhe lässt. So wird aus der hausväterlichen Sorge für die Sorge um die eigene Existenz, denn schließlich erfährt der Hausvater die über sich selbst hinaus dauernde Unbestimmtheit Odradeks als Mangel des eigenen Seins: „[A]ber die Vorstellung, daß er mich auch noch überleben sollte, ist mir eine fast schmerzliche.“ Doch auch dieser Satz entgleitet: Es ist ja nur eine „fast schmerzliche“ Vorstellung.

Den Prozess der sich fortschreibenden Lektüre hält Die Sorge des Hausvaters am Leben, und so wird dieses Textgewebe wohl „noch vor den Füßen [s]einer Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden die Treppe hinterkollern“, weil sie mit jeder neuen Wiederholungslektüre – um noch einmal das Glatteis der Etymologie zu beschreiten – ein „řád“, eine neue Schriftzeile erzeugt und eine neue Reihe von Deutungen nach sich zieht, die dem zum Lesen „Verurteilten“ wie die Schreibmaschinenrädchen in der Strafkolonie vor die Füße „kollern“ und dann liegen bleiben.

Kafkas Erzählung Die Sorge des Hausvaters stellt den von einem Referendum losgelösten Signifikanten und dessen perspektivierte Wahrnehmung (Sichtbarkeit) explizit in den Vordergrund und spielt mit dem bedingten Standpunkt des Lesers, der mit seiner Arbeit am schreibbaren Text zum aktiven Textproduzenten avanciert und somit die strikte Trennung von Text, Autor und Leser aufhebt. Als Gegenkommunikation inszeniert, stört die ausgestellte Medialität (Blätterrascheln, subjektive Vermittlung des Hausvaters etc.) die Kommunikation und verweist sprachkritisch auf die unhintergehbare Mittelbarkeit des Mediums Sprache. Diese ist hier gekennzeichnet durch Unschärfe, modale und konjunktivische Relativierungen sowie inhaltlich-paradoxale Aussagen, die die Basis für das Gleiten des Sinns und die Komik des Textes bilden und seinen Wert begründen. Durch die sichtliche Unzugänglichkeit eines Denotates tritt der Signifikant umso deutlicher in den Blick und mit ihm die Materialität von Schrift. Mit der gleitenden Signifikation, indem das „Perverse“, wie Barthes es in Die Lust am Text nennt, in der ‚ganz gewöhnlichen Form’ des Satzes sich stillheimlich (in Odradek’scher Manier) in den Diskurs einschleicht, um ihn subversiv zu sprengen, entfaltet sich in diesem Text die (Wol-)Lust des Lesens im Barthes’schen Sinne. Damit ist bereits formuliert, dass die semiotische Offenheit dieses Textes eine Entsprechung in der nicht verortbaren Figur Odradeks findet, deren exakt-mimetische Beschreibbarkeit der Text suggeriert, dabei aber – sobald dies dem Leser bewusst wird – nur umso deutlicher die Unmöglichkeit mimetischer Sprachrepräsentation vor Augen führt. Zugleich wird mit der Figur jedoch auch die diskursbegründende Macht von Sprache offenbar, inszeniert als ein Spiel der in den Text eingeschrieben Perspektivierung, die dem Leser immer schon eine Position im Diskursfeld zuweist oder ihn mit Foucault gesprochen, „die Tatsache, daß wir vor dem geringsten gesprochenen Wort bereits durch die Sprache beherrscht und von ihr durchdrungen sind“ wahrnehmen lässt. Somit ist nicht nur der Sinn des Textes dezentriert, sondern auch der durch das Andere bestimmte Hausvater und Leser, der sich am Versprechen der Lesbarkeit des Textes abarbeitet.